Von fehlender Körpergröße und großen Träumen

Scorpions-Talent Nico Wiedmann und sein Weg in die GFL

Müsste man versuchen nachzuvollziehen, wie viele Spieler bei den Stuttgart Scorpions in nunmehr fast 40 Jahren begonnen haben Football zu spielen, die Zahl ginge vermutlich in die Tausende. Vielen davon sind früher oder später wieder gegangen. Andere sind geblieben. Und wiederum andere machten sich jenseits der Waldau einen Namen – allen voran Jakob Johnson von den New England Patriots. Einer, dem zugetraut wird, es ebenfalls weit zu bringen, feierte am 26. Juni gegen Frankfurt sein GFL-Debüt im roten Jersey: Wide Receiver Nico Wiedmann.

In gewisser Weise kam dieses Debüt wenig überraschend, da sein Vater Marc Wiedmann bis 2006 fast 20 Jahre lang als Running Back für die Scorpions im Einsatz war. Und, wie Mutter Sabrina, bis heute ehrenamtlich für den Club tätig ist.

2002 erblickte Sohn Nico das Licht der Welt, um 2009 der nächste Wiedmann bei den Scorpions zu werden. Zu anfangs ohne den gewünschten Erfolg, denn als Jüngster war er bei den Flaggies auch der Kleinste. Ergo wollte sich der Spaß nicht so recht einstellen. 2010 versuchte er sich in Fußball und Karate, diese Abenteuer währten allerdings nicht lange. Beim zweiten Scorpions-Anlauf fanden dann endlich sowohl Körpergröße – heute ist er knapp 1,90 m groß – als auch die Freude am Football zu ihm.

Bis 2019 durchlief er die Nachwuchsteams der Scorpions. Ebenso die Landesauswahlen der entsprechenden Jahrgänge. Über die Jahre hin hatten ihn Coaches wie Fabian Weigel, Steffen Haenelt, Jermaine Guynn, Mario Campos Neves und Corey Chapman unter ihren Fittichen, aber auch Jakob Johnson legte – wenn vor Ort – die eine oder andere Trainingseinheit mit ihm ein.

Besagter Jakob Johnson erkannte Wiedmanns Talent frühzeitig und legte ihm so 2019 die Teilnahme am Tryout der NFL Academy in London nahe. Diese wurde im selben Jahr eröffnet mit dem Ziel, Nachwuchskräfte auf höchstem Niveau aus- und weiterzubilden. Im Juni 2019 absolvierte er also den ersten Test in London, wenig später – nachdem er den zweiten überspringen durfte – die Aufnahmeprüfung. In der ergatterte er als einer von 80 unter rund 1.000 Bewerbern einen Platz an der Academy.

Dadurch war es fürs erste vorbei mit dem Leben im beschaulichen Stuttgart, Nicos Lebensmittelpunkt war ab August 2019 eine Gastfamilie in London. Nach der ersten Eingewöhnung stellte sich allerdings recht schnell Ernüchterung ein. Zum Beispiel da lediglich an drei Tagen in der Woche Training angesetzt war. Oder weil an den verbleibenden Tagen oft nicht mal ein Besuch im vorgegebenen Fitness-Studio möglich war, da allein der Weg dorthin und zurück zu viel Zeit in Anspruch genommen hätte. Die schon allein durch den täglichen Besuch an einer regulären Schule begrenzt war.

So kamen nach und nach immer mehr Zweifel auf. Mutter Sabrina setzte diesen im November 2019 ein Ende, indem sie ihren Sprössling nach Hause holte. Nichtsdestotrotz bezeichnet Wiedmann im Nachhinein das Abenteuer London aber keinesfalls als Fehler. Schließlich hatte er so die Möglichkeit sich mit Spielern auf höchstem Niveau zu messen und auch das Behaupten gegen größere Konkurrenz dürfte seiner Entwicklung nicht geschadet haben.

Zurück in der schwäbischen Heimat sollte bald die nächste Enttäuschung folgen: Die coronabedingte Absage der U19-Saison 2020. Glücklicherweise hatten seine Eltern sich erst wenige Monate zuvor ein kleines Fitness-Studio in ihrem Keller eingerichtet, in dem er sich ganz gut fit halten konnte.

Die Saison 2021 sollte dann seine letzte im Juniorenbereich sein. Nachdem ihm jedoch Spieler und Coaches bereits GFL-Reife attestierten, wagte er den Schritt zu den Senioren. Den Auftakt markierte dabei die eingangs erwähnte Partie gegen Frankfurt, in welcher er gleich seinen ersten Touchdown erzielen durfte. Ein weiterer folgte zwei Wochen später gegen Ravensburg, nach drei Partien stehen somit sechs Catches über rund 100 Yards zu Buche. Sein Einstand lässt sich damit als gelungen bezeichnen und auch wenn er sich, wie er selbst sagt, zunächst an das GFL-Niveau heranfinden musste, so tritt er dennoch schon deutlich souveräner und solider auf, als es sein Alter vermuten ließen.

Geht es nach ihm, möchte er die bisher gezeigten Leistungen in den verbleibenden vier Partien gar noch steigern und in der nächsten Saison von Beginn an in der GFL dabei sein. Möglicherweise allerdings nicht bis zum Ende, denn als Ziel formuliert er ganz klar den Wechsel an ein US-College, möglichst im Jahr 2022. Mit im Gepäck ganz bestimmt den Traum, den jeder junger Spieler in dieser Situation hat: Eines Tages den Sprung zu den ganz Großen, in die NFL, zu schaffen. Wenn nicht über ein College, dann über das International Pathway Programm der Liga.

Jedoch – und das wiederum macht ihn sehr sympathisch – immer mit dem Wissen, dass nur den wenigsten dieser Schritt vergönnt ist. Und der Traum am Ende nur ein Traum bleiben könnte. Weshalb seine Welt glücklicherweise aber gewiss nicht unterginge. Denn in diesem Fall würde er „einfach hierbleiben und auf möglichst gutem Niveau weiterspielen.“ Und dass ihm zumindest das gelänge, daran zweifelt im Lager der Scorpions keiner, der ihn hat spielen sehen.

Text: Jack Hanson

Bilder:

Portrait: Angela Kächele

Spielszenen Scorpions: Sabrina Hirsch

Spielszene Landesauswahl: Erik Jessie